Immer mehr Universitäten beginnen damit, online-basierte Rollenspiele als Hintergrund für Seminare zu nutzen, um dadurch Highscore-Lerneifer zu wecken. Gamifizierung nennt sich das, Mechaniken aus Spielen und Videogames mit spielfremden Inhalten zu verwenden.

Im Prinzip geht es darum, Studiumsinhalte mit einem Feedback- und Belohnungsystem – Level, Punkte, usw. – zu erweitern; das Studium als Compulsion Loop eben. Konkret heißt das, dem Seminarthema umgewidmete Game-Version zu “zocken” und entsprechend zu “leveln”. Der Rollenspiel-Kitsch soll, in der Art eines Halo-Effekts, öde Seminare wieder sexy machen – eine verspielte virtuelle Welt aus Orks, Elfen und Goblins überstrahlt die weitere Wahrnehmung, beeinflusst so den Gesamteindruck des Seminars unverhältnismäßig positiv. Auch trennt ein solcher Ansatz Belohnung von Bewertung, was angeblich Prüfungsängste nimmt.

In gewisser Weise sind Universitäten längst ausreichend verspielt: Notendurchschnitte, Wahlfächer, akademische Grade – Spielifikation in Reinform. Was Talar und mortarboard samt Quast angeht, die Charakterklasse der Magier sieht in vielen Rollenspielen nicht viel anders aus. Jeder weiterer Übergriff des Spiels auf das Studium ist damit im Prinzip unnötig. Die edelste und erfolgreichste Bemühungen der Menschheit, und ihr beste Weg zu lernen, wie die Welt funktioniert, Wissenschaft, ist dann doch aus sich selbst heraus motivierend und belohnend genug.

In der Wirtschaft laufen derartige Programme schon länger, um die linearen, sich ständig wiederholenden Prozesse moderner Industrieanlagen attraktiver zu machen, um den Menschen in ein eigentlich auf übermenschliche Effizienz und Qualität getrimmte Fabriksysteme überhaupt noch irgendwie auf die Arbeit zu locken.

Tatsächlich wirken auch Hochschulen gehäuft wie Denkfabriken Lernfabriken, in denen immer weniger oder schlechter bezahlte Professoren immer mehr Studierende immer effizienter und schneller für irgendetwas qualifizieren.

Bildung ein Industriesektor, Hochschule als Business. Weil das Industriemodell des Lernens genau hier aufhört, können in solchen Lernfabriken wahrlich nur noch verspielte Seminare genügend Anreize für Lerneifer schaffen. Dort braucht es einen solchen Paralleleskapismus, eine Art Obfuskationstaktik, die den Lerndruck auf die Studierenden lediglich bemäntelt.

Die meisten spielerischen Programme, die Studiums- mit Rollenspiellogik verbinden, die Individualität mit vorgefertigtem Avatardesign übersetzen und für alle studiumsrelevanten Inhalte die passenden virtuellen Belohnungen vorrätig halten, die ebenso unwirklich wie der Avatar sind, aber trotzdem als Anreiz funktionieren, sind lediglich ein funktionales Abklatsch-Äquivalent für Payback-Punkte. An einer Universität, an der es um Wissen um seiner selbst willen gehen sollte, schafft man damit falsche Anreize, macht Seminare zur skinnerschen Konditionierungsbox.

Forschung ist eine allzu oft undankbare, öffentlich vernachlässigte oder einfach nur mühsame Aufgabe, Wissenschaftler müssen da ohne extern motivierenden Rahmen durch, müssen auf kurzfristige Belohnungen im Interesse langfristigen Erkenntnisgewinns verzichten. In der Universität ist, mehr noch als in Unternehmenszentralen, Selbstmotivation eine kritische Eigenschaft. Intrinsische Motivation stärkt man kaum, wenn man zusätzlich externe Belohnungssysteme einführt.

Die bunten Icons und Punkte, die rollenspielerischen Spannungsbögen und Geschichten mögen tatsächlich funktionieren. Allerdings tun sie dies nach einem vorgegebenen, unabänderlichen Pfad. Und genau hier konfligiert die Spiel- mit der Forschungslogik. Denn ob wir vorankommen hängt davon ab, ob wir uns selbst motivieren können – auch wenn dafür noch keine Lösungen existieren und folglich auch keine virtuellen Erfahrungspunkte winken. So ist Forschung immer noch ein Refugium der Serendipität, die Universität ein Fluchtraum und zweckfreies Experimentierfeld.

Kurz: Forschung ist all das, was die meisten Spiele längst nicht mehr sind. Game over, Gamifizierung.