Humanmedizin und Wirtschaftswissenschaft im Doppelstudium, nebenbei Gründer der Hilfsorganisation L’appel Deutschland – erst 29 Jahre alt ist der Student des Jahres 2015, Christoph Lüdemann. Durchgesetzt hat er sich gegen 106 Bewerber – allesamt exzeptionelle Super-Studenten.

Mehrsprachigkeit, Auslandsemester, Engagement. Zu Ausschläge auf der Genieskala kommt es unter deutschen Studenten immer öfter. So oft, dass man gleich einen eigenen Preis dafür ausruft: “Student des Jahres“, ausgezeichnet vom Hochschulverband und vom Deutschen Studentenwerk. Wow!

Woher kommt dieser vermeintliche akademische Sprung? Handelt es sich bei diesen studentischen Achievement-Freaks tatsächlich um eine abnormal-intelligente Kohorte?

Das Fünf-Sterne-Studentsein beginnt meist früh: Helikoptereltern, oft selbst Karrieristen, auf jeden Fall aber pädagogische Dogmatiker, übertragen Karriereambitionen mit unfassbarer Strenge und absoluter Kontrolle auf ihre Nachkommen. Reicht es nicht, wird gebettelt, gedroht, bestochen und erpresst, nur um ihre Kinder voranzubringen – das Ziel ist nicht die Eins, sondern das Prädikat Mathegenie, Wunderkinder etc. In privaten Elitekindergärten, Edelschulen und Luxusuniversitäten müssen dann angeblich selbst die brillantesten Studenten noch hart arbeiten – so scheint es.

Folglich lernt der Student des Jahres an der absurd teuren nordrhein-westfälischen Privatuniversität Witten/Herdecke. Und natürlich hat ihn ein potenter Förderer des Vereins vorgeschlagen. Und so besteht die Illusio dieses Preises im Glauben, es sei tatsächlich so, wie es erscheint, wer hart arbeitet, der ist preisverdächtig.

Insofern sind diese Güteklasse-A-Studenten gar nicht so super – hier wird, so scheint es, lediglich kulturelles Kapital (Anerkennung und Prestige) gegen ökonomisches Kapital getauscht. Karriere basiert in diesem Fall nicht mehr nur auf individuellen Leistungen, sondern auch auf herkunftsbedingten Gruppenzugehörigkeiten und anderen vorteilhaften Verbindungen im Sinne des “Vitamin B” – die Erfindung der Figur des Studenten des Jahres, dem man Exzellenz zuschreibt, als autologische Selbstbeweihräucherung einer kleinen Elite.

Nach eigenen Angaben steht er auch nicht so gern im Rampenlicht. Klar, ein solcher Preis ist etwas, das seinen Trägern zugleich einen Spiegel vorhält und diese ihrer Illusio ansichtig werden lässt.

Was bringt der Welt ein solcher Preis? So wie eine Konzentration von Reichtum an der Spitze den Reichtum weiter unten reduziert, bilden derlei Preise eine Zaun um das intellektuelle Kapital der begehrtesten Hochschulen und Universitäten, alle anderen, wenig angeseheneren Studenten und Institutionen werden dadurch zurückgesetzt. So wirkt die Witten/Herdecke gGmbH, insbesondere deren PR. Denn in diesem Sinne ist es nicht besonders fordernd, sich derart zu engagieren, es ist schlicht teuer – man muss es sich leisten können. “Student des Jahres” ist nur ein Etikett für den Matthäus-Effekt.

Natürlich vermittelt die Organisation des Super-Studenten andere Super-Studenten. Wohlhabende Universitäten brauchen inzwischen solche Agenturen, die für Provisionen die Auslanderfahrung ihrer Studierenden organisieren. Natürlich, niemand soll geschmäht werden, der Verdienstvolles tut. Aber L’appel hilft wohl eher den Super-Studenten als Afrika, denn Superstudenten brauchen Auslandserfahrung – und sie können es sich auch leisten!