Ist die akademische Freiheit am Ende, nur weil studentische Aktivisten dünnhäutigem Gleichstellungssprech einfordern und haarspalterisches Beleidigtsein kultivieren? Die Auseinandersetzung um eine politisch korrekte bzw. gerechte Sprache wird aktuell wieder am verbittertsten an us-americanischen, aber auch deutschen Universitäten geführt. Der sprachliche Kampf gegen Mikroaggression kehrt damit zu seinen Anfängen zurück.
Dieser Kampf ist nicht einfach, denn Rassismus, Sexismus, Homophobie etc. sind per se unvernünftig und das bedeutet, dass der vernünftige Versuch einer Neunormierung der Sprache eine nur beschränkte Waffe im Kampf dagegen darstellen kann. Auch tragen Wörter keine feste Bedeutung in sich, können sich abnutzten etc. Jedem Wort kann pejorativer Sinn zugeschrieben werden. Und so ist political correctness selbst längst zum politischen Kampfbegriff verkommen: als brisantes (Tod-)Schlagwort ist es keine präzise Bezeichnung mehr, leidet unter ihrem abwertenden Gebrauch aka der Euphemismus-Tretmühle. Viele Versionen der politischen Korrektheit sind also Strohmänner, von Gegnern konstruiert, um die dahinter liegende Idee zu geisseln und ridikülisieren. Mit direkten Folgen: Eine immer aggressivere Sprache scheint sich auszubreiten und ihre Verwender feiern sich längst als “Helden der Wahrheit und der Eindeutigkeit”. Doch verbaler Wahnsinn endet meist in wahnsinnigen Taten.
Zweifelsohne, vielerorts ist political correctness zum reinen Phrasendreschen verkommen, dient hipsteresken Distinktionsgewinn oder tritt als pauschales Moralisieren und Tabuieren an die Stelle einer nüchternen Betrachtung der Lage und des Abwägens der Optionen. Der Wert einer Idee kann aber nicht anhand ihrer extremsten (Fehl-)Manifestationen definiert werden. Indem man sich über ihre absurden Formen lustig macht, trivialisiert man die legitime Ideen.
In seiner einfachsten Form beschreibt politische Korrektheit lediglich das bewusste Bestreben, den anderen mit wohlüberlegter Wortwahl möglichst nicht zu beleidigen oder zu kränken oder zu erniedrigen bzw. für “explosive” Begriffe alternative Ausdrücke zu finden. Political correctness ist eine verständnisvolle Attitüde, ein innerlich erlebter, bewusster Sprachgebrauch. Übergeordnetes Ziel ist es, kollektiv unbewusste systematisch-fehlerhafte Neigungen beim Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen mit dem Mittel der Sprache bewusstzumachen, zu adressieren und vielleicht zu lösen.
Die symbolische Macht der Sprache sollte nicht überbewertet werden, aber man sollte sie auch nicht unterschätzen. Um nur zwei Beispiele auszuführen: Es reicht aus, den fremdklingenden Namen eines Studenten nur falsch auszusprechen, um dessen akademischen Erfolg ernsthaft zu behindern. Forschung zeigt, dass politische Korrektheit in gemischtgeschlechtlichen Arbeitsteams zwischengeschlechtliche Unsicherheiten verringert und damit Leistung und Kreativität verbessert.
Selbstverständlich, eine final diskriminierungsfreie Sprache wird es wohl nie geben – Ganz nebenbei: Vorurteile verbreiten auchnonverbal; aber das Beschäftigen mit und Hinterfragen der mikroaggressiven Kraft und der impliziten Vorurteile der Sprache, nimmt ihr dort wenigstens teilweise ihre Macht zur Diskriminierung, wo sie sich nicht verändern lässt.
Es macht also Sinn, auch “fett” und “schwarz” als Attribute im Sprachgebrauch zu debattieren. Dasselbe für das Wort “Frau” zu fordern, könnte ebenso sinnvoll sein. Die Idee, dass diese Wörter die Freiheit zur Selbstbestimmung der Identität verletzen könnten, ist für viele allerdings schon zu viel des Guten. Wahr aber ist, dass implizite Vorurteile der Sprache inzwischen sogar in Algorithmen zu finden sind. Und so ist political correctness in dem Maß verhasst, wie es den Verweigerern vorführt, dass “Anständigkeit” möglich ist.
Political correctness war und ist es also, die den schmerzhaften und unschönen Diskurs auslöst, der in pluralistischen Demokratien zu wirklichen politischen Veränderungen führt – insofern unterscheidet sie sich von harmlosen Euphemismen oder sonstigen heuchlerischen Ausdrücken. Mit ihrem “Entlarven”, “Überführen”, “Stellen” sucht sie den Konflikt und erträgt ihn auch. Sie verhängt keine Denkverbote, sie gibt Denkanstöße.
Und deshalb wird sie auch am heftigsten an ihrem Ursprungsort debattiert, an der Universität. Denn die Universität dient als Institution der freien geistigen Entfaltung und Erweiterung, offenen Debatten und Diskussionen, als Ort, wo zur Norm und Universalien geronnene Weisheiten in Frage gestellt werden. Und der neu entflammte Konflikt zeigt, dass die Universität eben nicht zu einer politically-correct-theologischen Studienanstalt geworden ist, wie einige Kritiker zuletzt befürchteten.
Klar, political correctness darf nicht zu einem Akt neurotischer Prüderie werden, der gleich einer “Dämonologie des Campus” legitime Standpunkte brandmarkt und ächtet. Trigger-Warnung hin oder her, nicht primär die fragile Psyche einiger Studenten gilt es zu schützen, sondern unkonventionelle, gegensätzliche Ideen, die auch provozieren können, die Hörer gar belasten; diesen Ideen einen sicheren Raum zu bieten, immun gegen Herrschaft, von politischen, religiösen und sogar intellektuellen, kurz jeglicher Dogmen, ist Ziel der Universität. Ganz klar, akademische Leistung misst sich an der Qualität ihrer Argumentation, Logik und Evidenz und keinesfalls an ihrer Übereinstimmung mit der political correctness.
Aber darum geht es nicht: Es klingt paradox, aber genau deshalb braucht es politisch korrekte Sprache. Sie ermöglicht es, die Kritik einer Idee mit der entsprechenden Rücksicht auf diejenigen zu verbinden, die diese Idee verfechten oder die diese Idee betrifft. Und eine Triggerwarnung ist für einige Studierende der Unterschied zwischen der behutsamen Beschäftigung mit strittigem Material oder Paralyse durch posttraumatischem Stress. Und ob ein Gedanke, eine Idee politisch korrekt formuliert wird, sagt nichts darüber aus, ob sie wahr ist oder falsch; warum also nicht die politisch korrekte Variante? Warum nicht stolz darauf sein, mit Ideen frei von Aggressivität zu überzeugen?
Die intellektuelle Physik kennt nur ein Hauptgesetz: Rede erzeugt Gegenrede. Und genau dafür braucht es politische Korrektheit in besonderem Maße an der Universität, weil diese auf den Prinzipien der Inklusion gegründet ist, was (sic!) den sensiblen, mitfühlenden Umgang mit Andersdenkenden essentiell voraussetzt. Ein so definierter save space ist eine Errungenschaft des Humanismus, der Aufklärung und aller darauf folgenden intellektuellen Emanzipationsbestrebungen, die es zu schützen gilt.